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Marisa Pilger online

freie Journalistin im Raum Rosenheim


Tüftler hat den Finger schon wieder am Abzug
Peter Fortner aus Geiging optimiert Biathlon-Waffen für Weltelite

Von Marisa Pilger

Rohrdorf – Egal ob in Ruhpolding oder Nagano, in Calgary oder Lillehammer - wenn die Weltklasse-Biathleten bei internationalen Wettkämpfen anlegen, ist in 80 Prozent aller Fälle auch Fortner aus Geiging mit im Spiel. Denn der Büchsenmachermeister aus dem abgelegenen Rohrdorfer Weiler hat vor 21 Jahren die Schießsparte des winterlichen Kombinationssports mit einem damals völlig neuartigen Verschluss revolutioniert, der zum Verriegeln nicht gedreht werden muss.
Auch die Wartung von Waffen – wie hier die Einstellung eines Abzugs – übernimmt Peter Fortner in seiner Werkstatt in Geiging.
Längst hat sich das zeitsparende Anschütz-Fortner-Repetiersystem, das allein mit Zeigefinger und Daumen bedient werden kann, in weit über 30 Biathlon-Nationen durchgesetzt - bei Skandinaviern und Russen ebenso wie bei Japanern und Chinesen. Dies verwundert allerdings kaum, wenn man bedenkt, dass der „Doppelkampf“ aus Skilanglauf und Schießen meist mit dem Gewehr entschieden wird.
Die Initialzündung für den Coup erfolgte im Frühjahr 1984 in einer gemütlichen Runde, als der frischgebackene Olympiasieger Peter Angerer seinem Spezl Peter Fortner seinen Verdruss klagte wegen der im DSV (Deutsche Skiverband) üblichen, veralteten Gewehrtechnik. Auf das Angebot des Rohrdorfers, das dieser in seiner Bierlaune eigentlich gar nicht so ernst gemeint hatte - nämlich ein ebenso leichtgängiges wie zeitsparendes System für nur einen Bruchteil der vom DSV anvisierten Kosten von 400.000 Mark zu entwickeln - stieg der Verband wenige Tage später prompt ein und stellte dem Büchsenmacher ein altes Anschütz-Gewehr 1427 zum Umbauen zur Verfügung: Der Grundstein für Fortners Betrieb war gelegt.
An vier Samstagen entwickelte der Jagd- und Sportwaffentechniker im Keller seines Hauses den Prototyp des neuen Verschlusses, der nicht nur Angerer überzeugte. Fast im selben Atemzug meldete sich Fortner, der zu dieser Zeit auch noch bei Waffen Daurer in Rosenheim arbeitete, zur Meisterprüfung an und legte diese im November 1986 als Landessieger ab.
Bereits Ende 1984 starteten Walter Pichler und Ernst Reiter bei der Biathlon-Weltmeisterschaft in Ruhpolding mit dem neuen Gewehr und machten sehr gute Erfahrungen. In der darauffolgenden Saison stieg neben Peter Angerer auch der deutschen Weltklasse-Biathlet Fritz Fischer um auf das „Anschütz-Biathlon-Gewehr Modell 1827 System Fortner“, wie es offiziell geführt wird.
Die Zusammenarbeit mit der Ulmer Jagd- und Sportwaffenfabrik ist heute noch ein wahrer Volltreffer: Mehr als 6700 Waffen (derzeit sind es jährlich rund 500 Stück) hat Fortner seither mit „seinem“ Verschluss bestückt, den er im September 1984 zum Patent angemeldet hatte. Anschütz liefert die Gewehrläufe mit den – zuvor bei Fortner bearbeiteten – Gehäusen. In Geiging wird dann der dort gefertigte und vormontierte Verschluss eingepasst, bevor die 1600 bis 2000 Euro teure Waffe zurück nach Ulm geht. Mittlerweile machen sich auch Scheibenschützen das Fortner-System zunutze und blättern für eine solche Kleinkaliber-Waffe bis zu 4000 Euro hin.
Nur mit Daumen und Zeigefinger wird das Fortner-Repetiersystem bedient, das vor zwei Jahrzehnten die Schießsparte des Biathlon-Sports revolutionierte. Mehr als 6700 Waffen wurden seitdem damit ausgestattet.
Für Neuentwicklungen und moderne Fertigungsmethoden hat der 51jährige von jeher eine Schwäche. So erfand er eine Vorrichtung im Magazin, in der die drei Reservepatronen vom Kaliber .22l.r. (5,6 Millimeter Durchmesser) für den Staffel-Wettbewerb problemlos verstaut werden können, und suchte nach Verbesserungen im Härteverfahren für den Lauf. Ein weiterer Geradezugverschluss – in den hatte Fortner an die 145.000 Mark Entwicklungskosten gesteckt – wird heute in Lizenz von einer großen Firma gefertigt. Unter Jägern im deutschsprachigen Raum hat sich der innovationsfreudige Rohrdorfer mit einer patentierten Mündungsverstellung für kombinierte Waffen einen Namen gemacht.
Sechs Beschäftigte, davon zwei Lehrlinge, arbeiten heute in der Werkstatt, die Fortner vor fünf Jahren unter ökologischen Gesichtspunkten gebaut hat. Später einmal will Sohn Peter (19 Jahre alt und im dritten Lehrjahr) den väterlichen Betrieb übernehmen, in dem zur bessen Auslastung der drei computergesteuerten Maschinen auch diverse Teile für einige Industrie- und Handwerksbetriebe aus der Umgebung gedreht und gefräst werden.
Privat hat der Büchsenmacher mit dem Schießen indes nicht allzuviel am Hut. Abgesehen von Testläufen am hauseigenen unterirdischen 100-Meter-Stand greift er lediglich bei den Rohrdorfer „Altschützen“ hin und wieder zur Luftpistole.
Viel lieber bastelt er an einem neuen Biathlon-Verschluss samt Abzug und Magazin. Der Tüftler hat dabei eine kostengünstige Komplettlösung mit modernen Materialien im Visier, in der alles aufeinander abgestimmt und für die computergesteuerte Fertigung optimiert ist. Schließlich war sein Erfolgs-System, das für Ole Einar Bjoerndalen und Ricco Groß ebenso zum täglich Brot gehört wie für Uschi Disl und Katja Beer, „lediglich“ durch den Umbau einer alten Waffe (Jahrgang 1954) zustande gekommen.
1. Dezember 2005


Millimeterarbeit mit Holz und Metall
Thomas Daurer übt ein altes, langsam aussterbendes Handwerk aus

Von Marisa Pilger

Rosenheim - Größenordnungen, in denen der Millimeter eine Null vor dem Komma hat und drei dahinter, gehören bei ihm ohnehin zum Handwerk. Kommen hochwertiges Metall, Holz und Kunststoff dazu, ist Thomas Daurer vollends in seinem Element. Und wenn er ein handgefertigtes Gewehr in der Hand hält, nimmt er keine Waffe ins Visier sondern lauter kleine Kunstwerke: Feine Gravuren, exakt gefeilte Stahlteile, ein akkurat geschnittenes Muster im Schaft. So verwundert es auch nicht weiter, dass der 23jährige bei seiner Gesellenprüfung am liebsten eine komplette Waffe gebaut hätte. Doch auch mit seinem Rückstecher traf Thomas Daurer ins Schwarze: Er wurde beim praktischen Leistungswettbewerb der bayerischen Handwerksjugend Landessieger im Büchsenmacher-Handwerk.
Jetzt arbeitet er wieder in Rosenheim, im Betrieb von Vater Toni Daurer in der Adlzreiterstraße. Und als er gefragt wird, wie es zusammenpasst, dass ein Büchsenmacher aus Leidenschaft nun Gummistiefel und Munition verkauft, anstatt Gewehre zu bauen, antwortet er spontan: „Ja, wenn's keiner braucht!“ Lachend zwar aber auch ein bisschen traurig bringt der 23jährige das Dilemma, in dem er steckt, auf den Punkt. Aber trotz seiner Liebe zum Handwerken ist er überzeugt: Der (künftige) Chef gehört in den Laden zu den Kunden.
An seinem Gesellenstück hatte Daurer gut eine Woche lang in der Werkstatt seines Meisters Johann Götz in Großhelfendorf gefräst und gefeilt, hatte gehärtet und angelassen. „Alles Handarbeit“, merkt er nicht ohne Stolz auf die kleine Stahlkonstruktion an. Mit dem ungefähr drei mal zwölf Zentimeter großen Rückstecher, einer Abzugseinheit für Jagdgewehre, steigen für den Jäger die Chancen auf einen Volltreffer: Mithilfe einer vorgespannten Feder, die beim Abdrücken als Schlagfeder dient, muss der Schütze mit dem Abzugszüngel nur noch 80 Gramm überwinden anstatt eineinhalb Kilo. Vergleichbar ist das Prinzip mit dem Auslöser eines Fotoapparats: je fester der Fotograf drücken muss, umso größer ist die Gefahr, das Bild zu verwackeln.
Bei der Prüfung selbst hieß es: Mittelstück und Rastl ausbauen, Skizzen anfertigen, Teile nachbauen, einpassen – und zum Schluss muss der winzige Mechanismus wieder einwandfrei funktionieren. „Das muss richtig schnell gehen.“ Schließlich sitzt einem die Zeit im Nacken.
Ein bisschen Glück gehörte natürlich auch dazu. - Und zugegeben, groß war die Konkurrenz nicht. In der Abschlussklasse in Ehingen bei Ulm, der einzigen Berufsschule für Büchsenmacher in Bundesgebiet, waren sie zu zehnt; drei kamen aus Bayern.
Das kostbare Gesellenstück soll übrigens bald einen Ehrenplatz erhalten: Dem Vater schwebt die Vitrine im Schießstand vor – gleich neben dem selbstgebauten Feuerstutzen vom Ururgroßvater.
Abgesehen von der Arbeit hat der Büchsenmacher-Geselle für Schusswaffen noch keine Leidenschaft entwickelt. Thomas (eine dritte Generation namens Anton wollte die Mutter nicht) schnappt sich in seiner Freizeit lieber Angelruten und Kescher oder stemmt im Fitness-Studio Gewichte. Den Jagdschein will er aber demnächst in Angriff nehmen.
Nur noch drei, vier Jagdgewehre pro Jahr - sozusagen die Rosinen im Leben eines Büchsenmachers – werden in der Werkstatt in der Adlzreiterstraße angefertigt, wo Meister Michael Reichel, ein leidenschaftlicher Jäger, das Sagen hat. Den Großteil der Arbeit machen Reparaturen, das Drehen von Ersatzschrauben, das Einschießen und das Anpassen von Zielfernrohren aus. „Wer gibt heute noch Geld aus für Handgefertigtes?“ fragt Daurer junior, und der Senior nickt nur zustimmend. Beide wissen, dass nicht nur ihr Handwerk einen schweren Stand hat.
Allein das Holz für einen Gewehrschaft aus Nussbaum kostet zwischen 200 und 5000 Euro. Und in einer kompletten Büchse stecken an die 45 Stunden Präszisionsarbeit und viel Geduld. Scheichs, weiß Thomas Daurer von Kollegen, blättern für ganz besondere Stücke schon mal 100.000 Euro und mehr hin. Aber das sind die Ausnahmen.
Diese Entwicklung schlägt sich auch in der Statistik der Gewerblichen Schule Ehingen nieder. Neben der dreieinhalbjährigen Ausbildung in einem Meisterbetrieb steht für die Nachwuchshandwerker im 2., 3. und 4. Lehrjahr jeweils zwölf Wochen Blockunterricht auf dem Stundenplan. 1995/96 waren in Ehingen noch insgesamt 65 Lehrlinge aus dem gesamten Bundesgebiet angemeldet; zwei Jahre später nurmehr 51. Im Moment sind es noch 38, die Optik, Ballistik und Waffenrecht büffeln.
In der Berufsfachschule in Suhl im Thüringer Wald dagegen, wo angehende Büchsenmacher ohne Ausbildungsbetrieb innerhalb von drei Jahren für die Gesellenprüfung fitgemacht werden, geht's seit zwei Jahren wieder bergauf – vor allem, weil immer weniger Meister ausbilden. Wer von den Bewerbern in Suhl einen der 18 Ausbildungsplätze bekommt, wird in einem Eignungstest entschieden. Nach 35 Bewerbungen in 2001 waren es im Jahr drauf bereits 65; fürs Schuljahr 2004/2005 liegen bereits 35 Anfragen vor.
Wer keinen Familienbetrieb im Rücken hat, riskiert einiges, wenn er sich der Büchsenmacherei verschreibt. Zumal die Bezahlung ohnehin nicht rosig ist. Ungefähr 420 Euro im Monat verdiente Daurer im letzten Lehrjahr. Umso erstaunlicher findet er es, dass von seinen neun Klassenkameraden nur einer – die einzige Frau – ein eigenes Geschäft hat. Die anderen acht waren quasi branchenfremd.
Ist dieses Handwerk, das im 14. Jahrhundert mit der Erfindung des Schießpulvers entstand und sich im 16. Jahrhundert zu den Selbständigen wie Bognern und Armbrustern gesellte, am Aussterben? Landesinnungsmeister Jürgen Triebel meint: „Nein“. Wenngleich die Zahl der Büchsenmacher stetig abnehme. Nachwuchs gebe es noch – allein, die Aussichten sind schlecht. Nicht nur das verschärfte Waffengesetz, das im April in Kraft getreten ist, gebe mit seinen teilweise „stark überzogenen“ Regelungen wenig Anlass zur Hoffnung.
Zukunftssorgen plagen den Rosenheimer indes nicht. Dass er den alteingesessenen Familienbetrieb - er wurde 1848 gegründet, just in dem Jahr als ein gewisser Gottlieb Daimler in Schorndorf seine Büchsenmacherlehre begann - einmal in der fünften Generation übernehmen wird, steht für ihn schon lange fest. Deshalb hat er nach der Realschule, als er nicht gleich eine Lehrstelle als Büchsenmacher fand, zuerst beim Vater die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gemacht.
Ob er aber in ein paar Jahren die Meisterprüfung machen wird, weiß Thomas Daurer noch nicht. Nach der Diskussion um die Meistertitel in der Handwerksordnung sorgt im Moment jedenfalls die anstehende Novellierung der Jagdgesetze für Gesprächsstoff. Denn die, fürchtet Toni Daurer, könnte dem 150 Jahre alten Jagdsystem den Todesstoß versetzen. Keine Frage, was dies für sein Handwerk bedeuten würde.
Zunächst freut sich der 52jährige aber, „dass es weiter geht“ mit dem Geschäft und mit der Familientradition, in einer Zeit, in der viele mit der Berufsbezeichnung „Büchsenmacher“ gar nichts mehr anzufangen wissen.
31. Dezember 2003

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