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Euflor: "Geordneter Rückzug" aus Nicklheim
Zukunft des drei Hektar großen Werksgeländes noch offen Raubling/Nicklheim (pil) – Der Auszug der Firma Euflor aus Nicklheim geht allmählich in die Endphase. Ein Großteil der Maschinen und anderer verwertbarer Geräte ist bereits nach Niedersachsen, in eines der drei anderen Werke des Humusproduzenten, gewandert oder wurde verkauft; letzte Reste werden gerade abgebaut. Bis in die zweite Jahreshälfte, schätzt Euflor-Geschäftsführer Jochen Siebenbürger, dauert der „geordnete Rückzug“ noch an. Dann gehen auf dem knapp drei Hektar großen Betriebsgelände am Ostrand der Kollerfilze fürs erste die Lichter aus. Was dort folgt, ist offen.
Raublings Bürgermeister Josef Neiderhell jedenfalls wünscht sich auf dem Grundstück, das im Moment noch von den Bayerischen Staatsforsten betreut wird, wieder eine Gewerbeansiedlung. Nicht umsonst habe man vor Jahren den Ausbau der Kreisstraße vorgenommen, die schnurgerade auf der ehemaligen Bahntrasse durch die Siedlung verläuft. Konkrete Auskünfte über eine künftige Nutzung des Geländes habe er auf seine Anfragen beim Forstbetrieb Schliersee bislang nicht erhalten. Jedoch, betont Neiderhell, „werden wir keinen Betrieb akzeptieren, der störender ist als bisherige.“
Bei der Auswahl des Gewerbes werde man in jedem Fall „Rücksicht auf die angrenzende Wohnbebauung“ nehmen, versichert der Forstbetriebsleiter, der großen Wert auf den einvernehmlichen Kontakt mit der Gemeinde Raubling legt. Darüber hinaus ist Pratsch bereit, Umgriffsflächen für die notwendige Grünplanung und etwaige Ausgleichsmaßnahmen „mit in den Hut zu werfen“. Mit Rücksicht auf potenzielle Vertragspartner will er derzeit aber nicht weiter ins Detail gehen. Für die Kollerfilze indes hat mit der Renaturierungsphase die Zukunft bereits begonnen. 130 Jahre lang war in dem einst bis zu acht Meter mächtigen Stammbeckenmoor Torf geerntet worden – zunächst als Brennstoff unter anderem für Eisenbahn und Saline, später als Ausgangsstoff für Humuserden. Im Zuge der Wiedervernässung haben sich auf den einstigen Abbaufeldern bereits Binsen und andere Horstgräser angesiedelt; und „auch das Torfmoos wächst schon.“, freut sich Kornelia Walter, Fachreferentin für Naturschutz im Landratsamt. Zudem zeugten seltene Vogelarten und Libellen davon, dass man mit der Renaturierung „auf dem richtigen Weg ist“. 3. März 2007
Ein Millimeter pro Jahr - Das "braune Gold" wächst nur langsam nach
Letzter Torfgewinnungsbetrieb im Freistaat hat zum Jahreswechsel seine Pforten geschlossen Von Marisa Pilger Raubling/Nicklheim - Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wurde in Nicklheim ein Kapitel Geschichte zugeschlagen, dessen Anfang bis ins vorvorige Jahrhundert zurückreicht und dem die abgelegene Ortschaft ihre Existenz überhaupt verdankt. Wenn sich bei der Firma Euflor als dem letzten noch industriell arbeitenden Torfgewinnungs- und -verarbeitungsbetrieb im Freistaat zum Jahreswechsel endgültig die Fabriktore geschlossen haben, ist auch die Ära des großflächigen Torfabbaus in den Stammbeckenmooren des Inngletschers ein für allemal vorüber. Eingeläutet hatte das Ende Bayerische Landtag bereits 1988 mit seinem Beschluss, den Torfabbau unter weiß-blauem Himmel einzustellen und die Moore zu schützen. Schon seit gut einem Jahr haben die riesigen Fräsmaschinen auf den Feldern der Kollerfilze zwischen Oberem und Unterem Tännelbach und Lungelbach ausgedient. Nur die Reste der Ernte wurden bis vor wenigen Wochen noch in Kipploren zur Weiterverarbeitung auf das Betriebsgelände des Humuswerks gegenüber dem Sportplatz vom FC Nicklheim transportiert. Rund eine halbe Stunde war die kleine Schmalspur-Lok jedesmal unterwegs für die eineinhalb Kilometer langen Fahrten aus der Filze, in die nun ungewohnte Ruhe einziehen wird. Bis zu 120.000 Kubikmeter des brauen Goldes hat Euflor hier in den absoluten Spitzenjahren abgebaut. Das muss in den 90er Jahren gewesen sein, mutmaßt Euflor-Werksleiter Udo Elsner und lässt den Blick vom einstigen „Feldbahnhof“ aus über die zum Teil bereits wiedervernässten Abbaufelder schweifen: Die Weichen für die Renaturierung der Kollerfilze wurden bereits vor längerem gestellt.
Dort, wo der industrielle Torfabbau vor der Kulisse der aufsteigenden Voralpen deutliche Spuren im Staatsforst hinterlassen hat, wird mit der Renaturierung langfristig ein neuer ungestörter Lebensraum entstehen für seltene Tier -und Pflanzenarten, ist sich Kornelia Walter sicher. Neben der typischen Hochmoorvegetation denkt die Fachreferentin für Naturschutz im Landratsamt Rosenheim unter anderem an Watvögel wie Kiebitze und Bekassine. Erste Erfolge zeigen sich gleich nebenan, in der Euflor-eigenen südlichen Hochrunstfilze, die seit mehr als zehn Jahren unter Landschaftsschutz steht. Zufrieden verweist Elsner auf die Pionierpflanzen, die dort wachsen. Erste Binsen und Sauergräser hatten sich bereits zwei Jahre nach dem Beginn der Vernässung gezeigt. In 20 bis 30 Jahren, schätzt er, werden sich flächendeckend Torfmoose ausgebreitet haben. Trotzdem dauert es im günstigsten Fall einige tausend Jahre, bis das Hochmoor wieder auf seine ursprüngliche Mächtigkeit von fünf bis acht Metern angewachsen ist: Als Faustregel gilt ein Höhenzuwachs von einem Millimeter pro Jahr. Ende der 90er Jahre hatte der Lehrstuhl für Vegetationsökologie der TU München in Weihenstephan im Auftrag von Euflor ein auf die örtlichen Gegebenheiten ausgerichtetes Renaturierungskonzept für die Kollerfilze entwickelt, für das das Unternehmen mit Sitz in München mehr als 200.000 Euro in die Bilanz eingestellt hat. Das „Schuch-Gutachten“, das eine Ausbeutung der Kollerfilze bis etwa 2015 vorsah, hatte die Untere Naturschutzbehörde bereits vor zehn Jahren als „zu radikal“ verworfen; und auch das vom Landratsamt beauftragte Gegengutachten der Projektgruppe Landschaftsentwicklung und Artenschutz kam letztlich nicht zum Tragen, erläutert Kornelia Walter.
Die Weiterverarbeitung hingegen lief das ganze Jahr über. In den letzten fünf bis sechs Jahren war mit sinkender Abraummenge auch sukzessive Personal abgebaut worden; zuletzt waren noch 20 Mitarbeiter mit Torfgewinnung, Herstellung und Versand von Gärtnererde und Pflanzsubstraten beschäftigt gewesen. Wann eine Fläche reif für die Renaturierung war, sei jeweils vom Fortschritt des Abbaus abhängig gewesen. Wie schnell dies der Fall sein würde, „war damals nicht klar“, nimmt Euflor-Geschäftsführer Jochen Siebenbürger zu Vorwürfen vonseiten des Raublinger Bürgermeisters Stellung, den er im April oder Mai über den Termin für die Betriebsschließung informiert habe. Euflor habe ganz überraschend und unnötigerweise bereits in diesem Jahr dicht gemacht, kritisiert dagegen Josef Neiderhell (CSU). Er vermutet, der Betrieb habe in den letzten Jahren den Torf schneller geerntet als gestattet. Nicht nur der Filze hätten zwei bis drei weitere Abbau-Jahre gutgetan, ärgert sich der Rathaus-Chef. Schließlich sind in der 12.000-Einwohner-Gemeinde nach der Aicher-Insolvenz und dem Wegfall von 40 Stellen an den beiden Raublinger Mondi-Standorten mit der Schließung des Erdenwerks in Laufe des vergangenen Jahres insgesamt
Einige wenige Jahre hätte die Kollerfilze wohl noch Torf hergegeben, räumt Siebenbürger ein. Doch das vorgegebene Niveau auf dem letzten der vier Abbaufelder war bereits „annähernd erreicht“ – und damit die Vorgaben des Renaturierungskonzepts erfüllt. Das endgültige Aus unnötigerweise hinauszuzögern, wäre wirtschaftlich nicht vertretbar gewesen. Auch für Euflor - eine Tochter der österreichischen Kwizda-Gruppe, die weitere Torfwerke in Niedersachsen betreibt - stelle die Betriebsschließung eine „bittere Entscheidung“ dar. Bereits seit einigen Jahren habe man neben dem Torf verstärkt zu Kompost als Ausgangsstoff für die Erdenherstellung greifen müssen; mit seinen Plänen für den Bau einer Kompostieranlage in Nicklheim aber sei das Unternehmen vor 15 Jahren auf Kreisebene gescheitert. „Wenn wir das hätten, würden wir hier weitermachen.“, wirft Siebenbürger ein. Und für einen Abbau des Resttorfs zu balneologischen Zwecken hätten sich trotz eines entsprechenden Gutachtens in den Heilbädern keine Interessenten gefunden. Künftig wird in der Kollerfilze also wieder der händische Torfabbau dominieren, den manche Landwirte und andere Liebhaber heute noch in kleinem Rahmen betreiben. Und hin und wieder wird sich bestimmt auch eine Gruppe Kinder dorthin verirren, um im Rahmen des Ferienprogramms Einblick zu nehmen, wie vor mehr als 100 Jahren Torf gestochen wurde. 19. Januar 2006
Brennstoff, Blumenerde und der Grundstein für die Ortschaft Nicklheim
Raublinger Bahnhof einst Bayerns bedeutendster Verladeplatz für Torf Raubling/Nicklheim (pil) - Schon Kurfürst Max III. Josef wusste um den Brennwert des Torfes, als er um 1760 das Schleißheimer Moor bei München ausbeuten ließ. Mit der Industrialisierung schossen dann im 19. Jahrhundert in ganz Bayern Torfstechereien wie Pilze aus dem Boden. Den Startschuss für die rasante Weiterentwicklung der Torfwirtschaft aber gab - neben den Bayerischen Salinen - letztlich die Eisenbahn: 1858 wurde die Linie Rosenheim-Kufstein eröffnet. Den massenhaft benötigten Torf sollte die Kollerfilze – ein fünf bis acht Meter mächtiges und 138 Hektar großes Hochmoor im Rosenheimer Stammbecken – liefern; denn das nordwestlich von München gelegene Haspelmoor hatte sich als Brennstofflieferant als nicht geeignet erwiesen: Der Grundstein für das spätere Nicklheim am Ostrand der Kollerfilze (damals noch Gemeindegebiet Großholzhausen) war gelegt. Die Erschließung des Moores begann im Frühjahr 1876: „Eine drei Kilometer lange normalspurige Bahnverbindung zur Station Raubling wurde hergestellt, die bestehenden Wassserläufe wurden vertieft und verbreitert, neue Entwässerungsgräben ausgehoben und das Wasser in den Oberen Tännelbach abgeleitet.“, schreibt Ludwig Ehrenreich in seiner Chronik „Nicklheim – Das Dorf im Moor“ (1976, Herausgeber Ludwig Nickl und Ludwig Ehrenreich).
Nur ein kleiner Teil der Arbeitskräfte für den Torfbetrieb stammte aus der Umgebung; die meisten Saison-Arbeiter kamen aus dem Bayerischen Wald, dem Böhmerwald, Niederbayern, Tirol und der Oberpalz und hausten den Sommer über in primitivsten Verhältnissen. Ein Aufseher auf dem Feld überwachte, dass die gestochenen Torfstücke (Soden) möglichst zwölf mal zehn mal 44 Zentimeter maßen; und mit Unterstützung beim Kasteln, dem Aufschichten, konnte es ein Stecher pro Tag auf 12.000 bis 13.000 Soden bringen. Die „Wurstelmaschine“, an der an die 14 Personen schafften, warf bis zu 40.000 Soden aus. Als der Torf als Brennstoff für die Eisenbahn zunehmend von der Kohle verdrängt wurde, verpachtete die Eisenbahnverwaltung die Torfgewinnungsanstalt Raubling 1899 an Joseph Nickls Sohn Michael. Die Kantine bewirtschaftete zu dieser Zeit dessen Bruder Ludwig. Zu den wichtigsten Kunden zählten nun Firmen, Schulen, Behörden und Wirtschaften. So wurden, wie Ludwig Ehrenreich vermerkt, im Jahr 1908 auf der Station Raubling rund 17.000 Tonnen Torf verladen. Ähnlich beeindruckend war die Menge an Bier, die – mangels Trinkwassers – durch die Kehlen der durstigen Arbeiter floss: jährlich 1500 Hektoliter. Darüber hinaus lockte die „Filzenwirtschaft“ bald auch Ausflügler aus der Stadt in das Moorgebiet zwischen Feilnbach und Pang: 1910 beantragte der Wirt sogar die Verkürzung der Sperrstunde von 10 auf 11 Uhr abends. 1907 übernahmen die Brüder Nickl die Liegenschaften der Eisenbahngesellschaft; der eine südlich, der andere nördlich der Bahnstrecke. Kurz darauf entstand unter anderem das am Ortseingang rechts der Bahn gelegene, seinerzeit als „Villa Nickl“ bekannte Landhaus. Bereits 1906 hatte die Salinenverwaltung mit der Ausbeutung der 260 Hektar großen nördlich der Kollerfilze gelegenen Hochrunstfilze begonnen; sie übergab den Betrieb aber wenige Jahre später an Ludwig Nickl als Akkordanten, der unter anderem die Flötzinger Brauerei und die Papierfabrik in Redenfelden belieferte. Fürs Jahr 1910 verzeichnet Ehrenreichs Chronik dort insgesamt 11.367 Arbeitstage allein der Stecher. Nun war auch die Zeit reif für einen Ortsnamen: Nach dreijährigem Verwaltungsweg gab Prinzregent Luitpold am 18. Juni 1910 dem Antrag der Brüder Nickl statt: die kleine Moorsiedlung hieß nunmehr „Nicklheim“. Ein Jahr später, am 29.Oktober 1911, erhielt der Torfwerksbesitzer Ludwig Nickl, der bald auch noch das mittlerweile an die Saline verkaufte Torfwerk seines Bruders Michael übernehmen sollte, gegen eine Gebühr von 20 Mark das Gemeindebürgerrecht von Großholzhausen. Bis nach Österreich, Schwaben und Niederbayern – vor allem aber nach München - wurde der Nicklheimer Torf geliefert. „Die Station Raubling repräsentierte damals den bedeutendsten Verladeplatz für Torf in Bayern.“ (Ehrenreich). Längst hatte sich das einstige Barackendorf zu einer Arbeiterkolonie mit Wohnhäusern gemausert; nun nahm Ludwig Nickl die landwirtschaftliche Nutzung der ausgetorften Flächen in Angriff, um die Ernährung für sich und seine Arbeiter zu sichern. Sowohl die Entwässerung als auch die Fruchtbarmachung der extrem nährstoffarmen Hochmoorflächen verschlang ernorme Geldsummen. Vor allem wegen dieses Engagements gilt Ludwig Nickl noch heute als der „Gründer von Nicklheim“, das 1978 im Zuge der Gemeindegebietsreform Raubling zugeschlagen wurde und heute rund 920 Einwohner zählt. Einschneidende Veränderungen brachte allerdings der Erste Weltkrieg mit sich. Französische Kriegsgefangene wurden zum Torfstechen eingesetzt und 1919 löste die Saline den Pachtvertrag mit Ludwig Nickl - vier Jahre früher als vorgesehen. Nickl kehrte nach langer Abwesenheit erst 1929 in „sein“ Dorf zurück, wo er ein Jahr später überraschend im Alter von 64 Jahren einem Herzversagen erlag.
So verlegte sich die BHS (ab 1969 als „Alpentorfwerke Rosenheim“) in der Blütezeit des Wirtschaftswunders auf die Frästorfgewinnung für die Produktion von Blumenerden und Pflanzsubstraten und beschäftigte Mitte der 70er Jahre insgesamt 66 Arbeitskräfte in Nicklheim. Bis dahin wurde auch der Großteil der Produkte per Bahn abtransportiert, die über die Trasse der heutigen schnurgeraden Hauptstraße zum Raublinger Bahnhof ratterte und von dort direkt ins Schienennetz der Bundesbahn einbog. 1984 allerdings wurde der Versand zwangsläufig komplett auf die Straße verlegt: Eine aufwändige Reparatur am Gleiskörper hätte an die 800.000 Mark verschlungen, so Euflor-Betriebsleiter Udo Elsner. Vom Werksverkehr zeugt heute noch die Torfbahnbrücke über die Inntalautobahn. Deren Zukunft allerdings ist ebenso ungeklärt, wie die des Betriebsgeländes am westlichen Ende Nicklheims. Möglicherweise, erklärt Siebenbürger, werde sich auf dem Staatsgrund eine Spedition niederlassen. 19. Januar 2006 nach oben |